Quelle: DVD Cover und Szenenfotos: Studio Ruscico
Quelle: DVD Cover und Szenenfotos: Studio Ruscico

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Aelita, original: Aelita (1924)

Mezhrabpom-Rus, Studio Ruscico; Produktionsland. UDSSR; Länge: deutsche TV Fassung: 88 min,

russische Originalfassung mit deutschen oder englischen Untertiteln: 104 min, mit legalem Direktlink zum Film, da Open Source

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Darsteller Team
Yulyia Solntseva als Aelita Regie: Jakow Protasanow
Nikolai Zereteli als Speridinow/ Loss Drehbuch: Alexei Fajko, Fjodor Ozep, nach einem Roman von Tolsto
Igor Iljinski als Kraznow Kamera: Emil Schünemann, Juri Scheljabuschski
Konstantin Eggert als Tuskub künstlerische Leitung: Yuri Zhelyabuzhsky
Nikolai Batalow als Ex Soldat Gussev Kostüme: Alexandra Seter
 Valentina Kuindschi als Loss' Ehefrau  Sets: Isaak Rabinovich, Alexandra Seter, V.Simonov

Besprechung:

Wenn über den Einfluss berichtet wird, den frühe Filmwerke auf die Science Fiction der nachfolgenden Jahre hatte, wird oft Metropolis oder Die Frau im Mond von Fritz Lang erwähnt. Im Bereich Spezial Effekte ist es der ebenfalls deutsche Kurzfilm Weltraumschiff 1 startet von Anton Kutter, der von sich reden machte. Tatsächlich musste aber auch  Lang seine Inspirationen aus anderen Werken beziehen. Vornehmlich ist es der frühe sowjetische Film Aelita, der in damaliger Zeit in Sachen Bühnenausstattung und expressionistischer Ausdrucks- und Filmgestaltung den Ton angab. Ungewöhnlich für jene Zeit war ein Handlungsstrang, der sich inklusive eines Nebenstrangs über mehrere Ebenen erstreckte, in einer Zeit ohne Dialoge war das ein sehr schwer zu realisierendes Unterfangen.

 

Über die beachtliche Länge von fast einer Stunde und vier Minuten entspinnt sich die Geschichte in den Wirren der russischen Revolution im Jahr 1921 am Moskauer Bahnhof um den erfolglosen aber ehrgeizigen Krawzow, dem Ex-Soldaten Gussev, der ihn pflegenden Krankenschwester Masha, dem Ingenieur Loss (der sich später auch als Spiridinow ausgeben wird) und seiner Frau Natascha. Als Nebenstrang wird ein fremdes Radiosignal „ANTA ODELI UTA“ eingeführt, dass überall auf der Welt empfangen wird und die Neugierde des Ingenieurs Loss weckt. Diese Nebengeschichte ist es letztlich, die aufgrund Jakob Protasanows Regie, sowie der ungewöhnlichen Sets und Kostüme von Alexandra Ekster und Isaak Rabinovich für das Science Fiction Genre von außerordentlicher Wichtigkeit werden sollte.

 

Schauen wir uns den Inhalt dieses Nebenschauplatzes einmal kurz an:  Loss/Spiridinow träumt schon lange davon, den Mars zu erreichen und verliert sich nach der Entdeckung des Signals in Träumerein über die seltsamen Worte, die, wie er glaubt, vom roten Planeten stammen könnten. Es folgt ein Bruch und wir werfen einen Blick auf den Mars, wo Königin Aelita als aufgeschlossene Regentin, aber ohne eigentliche Machtbefugnisse regiert. Die wahre Staatsgewalt hat die Priesterkaste der „strahlenden Energie des Planeten“ inne. Anführer und oberster Richter ist der skrupellose Oberpriester Tuskup, der nicht nur sein Volk, sondern auch das Königshaus in seinem harten Griff hält. Einzige Freundin Aelitas ist ihre Jungfer Ihoshka. Gor, seines Zeichens Wächter der strahlenden Energie, ist ihr zugetan. Er hat ein technologisches Wunderwerk, ein Teleskop gebaut, mit dem man die Menschen auf dem Nachbarplaneten Erde beobachten kann. Nach einigem Drängen erlaubt Gor Aelita gegen Tuskups ausdrücklichen Befehl, das Teleskop zu benutzen. So entdeckt sie Loss, der sich gerade mit seiner geliebten Frau trifft, sie küsst und umarmt.

 

Positive Emotionen wie Liebe und Zärtlichkeit sind auf dem Mars unbekannt. So werden in Aelita Gefühle erweckt, die sie nie zuvor empfunden hat. Also bittet sie Gor, ihre Lippen mit den seinen so zu berühren, wie es der durch das Teleskop beobachtete Erdling tat. Gor erfüllt ihr diesen Wunsch, ist aber schließlich unfähig, Aelitas Bedürfnis nach Liebe zu befriedigen. So wendet sie sich  enttäuscht von ihm ab und gibt sich fortan dem Traum hin, dass Loss irgendwann den Mars erreichen und sie aus ihrem Unglück befreien möge.

Der Hauptstrang wird unter anderem auch in weiten Strecken über mehr oder weniger dramaturgisch bearbeiteten Aufnahmen im Dokumentationsstil erzählt. So ist etwa eine Parade auf dem damals noch nicht eingezäunten Roten Platz festgehalten, das bunte Treiben am Moskauer Bahnhof und in den Straßen Moskaus, oder eben in den damaligen Erfassungsbüros der Partei. Schon allein deshalb ist Aelita ein wichtiges Zeitdokument russischer Geschichte, gibt er doch einen so unverblümten Blick auf die Anfänge der Sowjetunion frei, dass der Film später stark zensiert und zeitweise in der UDSSR sogar komplett verboten war, einfach nur, weil sich die Ideologie verändert hatte. Dabei ist Aelita im Grunde ein Plädoyer für die Freiheit des Volkes, von dem die Revolution in Russland einst ausgegangen war, doch dazu gleich mehr.

 

In die Wirren der Zeit sind die Schicksale der oben genannte Personen eingewoben, der Ex-Soldat, der die Krankenschwester Masha heiratet, dem aber der Krieg fehlt, Loss , der sich in seiner Arbeit verliert, dabei die Liebe seiner Frau übersieht und sie später aus Eifersucht tötet. Außerdem ist da noch Karzow, ein Trottel, der sich unbedingt als Detektiv verdingen möchte und Loss für den Mord an seiner Frau stellen will. Diese Handlungsebene ist geschickt mit den zeitdokumentarischen Bildern verknüpft. Zusammen mit den Brüchen, die die Nebengeschichte vorantreiben ergibt sich so eine überaus interessante Regiearbeit. Leider ist es bisweilen schwer, dem Geschehen zu folgen. Die filmischen Mittel der heutigen Zeit, gab es natürlich noch nicht, so dass dem Regisseur nur einfachste Hilfsmittel wie Filter oder Blenden blieben, auf besondere Abläufe aufmerksam zu machen. Texttafeln dienten zur Erläuterung. Noch nicht einmal eine Filmmusik im heutigen Sinne existierte, erst mit Metropolis sollte die Wichtigkeit von eigens komponierter Filmmusik wirklich deutlich werden.

 

Zusammengeführt werden beide Handlungsstränge auf erzählerischer und ideologischer Ebene. Erzählerisch wird, wie oben erwähnt, Loss in rasender Eifersucht seine geliebte Frau töten und sich in seiner Verzweiflung in seine Arbeit stürzen. Er baut schließlich eine Rakete, die ihn zum Mars bringt. Der Exsoldat Gussew begleitet ihn, nachdem er, müde von der langweiligen Ehe mit Masha, sie verlassen hat und bei Loss anheuerte. Krawzow ist ebenfalls an Bord, er verfolgte Loss als Mörder und versteckte sich in der Rakete, um ihn zu stellen. Als die drei schließlich auf dem Mars eintreffen, verliebt sich Loss sofort unsterblich in Aelita, die schon lange auf ihn gewartet hat. Gussew und die Jungfer Ihoshka fühlen sich ebenfalls zueinander hingezogen. Doch der böse Tuskub hat nur den Tod der Eindringlinge im Sinn. Schließlich deckt Loss die grausamen Machenschaften der Priesterkaste auf, die massenhaft unliebsame Gegner ermorden, indem sie in Kühlkammern gesteckt werden. Es gelingt den Erdlingen, eine Revolution vom Zaun zu brechen und die Schreckensherrschaft Tuskubs endet.

 

 

Hier schließt sich der Kreis und die ideologischen Absichten des Films werden deutlich. Auch wenn sich Loss' Marstrip letztlich als Traum herausstellt, propagiert Aelita doch unverhohlen, dass die Macht überall auf der Welt vom Volke ausgehen sollte und die Mächtigen kein Recht haben, die Schwachen zu unterdrücken. Jede Ungerechtigkeit und Unterdrückung müsse zwangsläufig die Revolution zur Folge haben. Nur der wahre Sozialismus sei als einzig gerechte Gesellschaftsform akzeptabel. Das entspricht zwar im großen und ganzen dem vom Marx gezeichneten politischen und soziologischen Bild, dass er im Kopf hatte, als er „Das Kapital“ schrieb, natürlich interessierte das einen Tyrannen wie Stalin allerdings in keinster Weise, dem nicht der Sinn nach einem starken, unabhängigen Volk stand. So passte eine der grundlegendsten Aussagen des sogenannten Kommunismus, festgehalten, dargestellt und ausgelebt in einem der vielleicht wichtigsten filmischen Dokumente jener Zeit, nicht mehr ins Weltbild der Sowjetunion.

Gleichwohl hat Aelita heute einen festen Platz in der Riege der wertvollsten Filme aller Zeiten. Für das Science Fiction Genre sind die Leistungen des Regisseurs Jakow Protasanow, des künstlerischen Leiters Yuri Zhelyabuzhsky, der Kostümbildnerin Alexandra Exter, und dem Setteam rund um Isaak Rabinovich unschätzbar. Hinzu gesellt sich ein für damalige Verhältnisse sehr futuristisch anmutendes Modell der Marshauptstadt, vor dessen Toren Loss' Rakete landet, gestaltet von V. Simonov. Die Künstler griffen in weiten Teilen, wie oben bereits angedeutet, Stilelemente des deutschen Expressionismus auf. Das Setdesign, die Weite der Bühne und die mehrstufigen Aufbauten sollten ebenso wie die ungewöhnlichen und sehr ansehnlichen Kostüme so großen Einfluss auf das Genre haben, dass sich unter anderem Fritz Lang  inspirieren ließ. Auch für die amerikanischen Filmemacher war Aelita eine Quelle der Inspiration, die noch Jahre später Früchte tragen sollte. So ließ sich etwa Ford Beepe, Regisseur des berühmten 30er Jahre Serials Buck Rogers (1939), von den Kostümen und Sets inspirieren.

persönliche Bewertung: 5/6